Marktüberblick in Deutschland

Wie bereits 2020-2021 nahm auch während des aktuellen Berichtszeitraums der aufsichtsrechtliche Beratungsbedarf mit den zunehmenden Aktivitäten der Aufsichtsbehörden weiter zu. Zu den zentralen Themen zählen hierbei insbesondere ESG (Environmental, Social and Governmental) und die EU-Taxonomie-Verordnung.

Die EU-Taxonomie-Verordnung trat als Bestandteil des Green Deals im Juli 2020 in Kraft und gilt als Richtlinie für die Nachhaltigkeitsbewertung von Finanzprodukten. Konkret sollen damit Kapitalströme in nachhaltige Investitionen gelenkt bzw. mit der Einführung eines EU-Klassifikationssystems das sogenannte Greenwashing vermieden werden. Diese Verordnung steht im engen Zusammenhang mit der seit März 2021 geltenden europäischen Offenlegungsverordnung, die von Unternehmen des Finanzsektors verlangt, die Nachhaltigkeit ihrer Produkte offenzulegen bzw. Anleger*innen darüber zu informieren, inwieweit ökologische und soziale Kriterien und Standards beachtet werden. Unklarheiten über die Ausrichtung einzelner Finanzprodukte bleiben jedoch bestehen bzw. bleibt auch weiterhin unklar, ab wann Finanzprodukte, die in ein breites Portfolio investieren, als nachhaltig gelten.

Diese Unklarheiten bzw. die steigende Nachfrage nach nachhaltigen und grünen Investitionsformen sorgten während des Berichtszeitraums für eine volle Auftragslage bei diversen Fondspraxen. Die Beratung zu alternativen Anlagen erfordert mittlerweile einen hohen Spezialisierungsgrad, dem Kanzleien mit internen Schwerpunktsetzungen auf diverse Assetklassen wie Immobilien, Private Equity, Infrastruktur und erneuerbare Energien einerseits und auf verschiedene Fondstypen andererseits gerecht werden. Zudem verfügen zahlreiche deutsche Fondspraxen mittlerweile über direkte Kontakte zu Luxemburger Fondsspezialisten bzw. über eigens dafür eingerichtete Luxemburger Büros, um zu Luxemburger Fondsstrukturen aus einer Hand beraten zu können.

Daneben sorgt der FinTech- und Kryptoasset-Bereich weiterhin für eine volle Auftragslage, der sich kleinere auf FinTech und das Aufsichtsrecht spezialisierte Kanzleien genauso erfreuen wie Großkanzleien, die auf diesen Trend inzwischen mit eigens darauf spezialisierten FinTech-Teams reagiert haben. Die aufsichtsrechtliche Beratung, die im Zentrum vieler Boutiquen als auch Großkanzleien steht, dreht sich vermehrt um die Verordnung über Märkte für Kryptowerte (MiCA), deren finale Version mit Spannung erwartet wird, nachdem die Europäische Kommission im September 2020 den ersten Vorschlag der Verordnung vorgelegt hatte. Ziel der Verordnung ist die Schaffung eines einheitlichen europäischen Regelungsrahmens für das Krypto-Ökosystem. Vor allem sollen die geplanten Vorschriften (wie die Ausgabe von Kryptowerten, die Beaufsichtigung der Emittenten, Anbieter und bestimmter Dienstleister sowie Maßnahmen zur Verhinderung von Marktmissbrauch) Anleger schützen und die Finanzstabilität wahren, wodurch man sich eine Förderung der Kryptobranche in Europa erhofft.

Neben der aufsichtsrechtlichen Beratung umfasst FinTech auch regelmäßig die Themenfelder M&A, Venture Capital, Investmentrecht und Datenschutz, die man vor allem in Großkanzleien praxis- und zunehmend auch standortübergreifend abdecken kann. Kleinere Einheiten sind andererseits aufgrund der Kostenstruktur in der Lage, FinTechs bereits in der Entwicklungsphase zu unterstützen und dabei einen hohen Spezialisierungsgrad in den Bereichen Tokenisierung, Kryptowährungen und Distributed Ledger Technologien (DLT) zur Verfügung zu stellen.

Auch in der Investitionsberatung ist dieser Trend mittlerweile verstärkt zu spüren, indem nun auch vermehrt junge FinTech- und Tech-Unternehmen sowie Start-ups als attraktives Investitionstarget für traditionell konservative Investoren gelten.

In der Finanzierungsberatung selbst nimmt die Komplexität von Finanzierungsstrukturen weiterhin zu, wovon vor allem Praxen mit robusten Kapitalmarktrechtskapazitäten profitieren (hier gewinnen vor allem Term Loan B-Finanzierungen weiter an Bedeutung), und zum anderen gestaltet sich auch die Kreditgeberlandschaft immer facettenreicher. Dies zeigt sich im verstärkten Auftreten von Versicherungen, Fonds und Schattenbank-Konstruktionen, die vermehrt in die Fußstapfen klassischer Banken treten, da alternative Finanzierer zum einen flexiblere Konditionen anbieten können und sich Banken zum anderen aufgrund verschärfter Regulierungen und hoher Verwaltungskosten aus bestimmten Segmenten der Kreditfinanzierung zurückziehen. Allen voran bilden Debtfonds mittlerweile einen fixen Bestandteil des Mandantenportfolios vieler Kanzleien, die sich auf die kreditgeberseitige Beratung spezialisieren.

Gleichzeitig erwartet man sich aufgrund der steigenden Zinssätze sowie der anhaltenden angespannten geopolitischen Lage die Absage mehrerer Finanzierungsprojekte, vor allem auch im Immobilienbereich, wenngleich der Anlagedruck ungebrochen hoch bleibt.

Zu den signifikantesten personellen Veränderungen des Berichtszeitraums zählen der Wechsel der beiden Kryptowährungsspezialisten Eric Romba und Robert Oppenheim von Lindenpartners zu Osborne Clarke im Februar 2022; der Wechsel des ehemaligen POELLATH-Gründungspartners und Private Equity-Spezialisten Andreas Rodin zu YPOG im Juli 2022; und Shearman & Sterling LLPs Verlust von Praxisgruppenleiter Winfried Carli an Goodwin im Juli 2022. Zeitgleich verlor DLA Piper mit dem Abgang von Frank Schwem und Torsten Pokropp (mittlerweile bei Bryan Cave Leighton Paisner) das Immobilienfinanzierungsteam.