Marktüberblick in Deutschland

Das Handels- und Vertriebsrecht stand im Berichtszeitraum ganz im Zeichen kriselnder Lieferketten. Die ohnehin schon durch Covid-19 beanspruchten Transportwege wurden durch weitere Lockdowns chinesischer Häfen im Rahmen der Null-Covid-Strategie des Landes massiv verschärft. Darüber klagte das verarbeitende Gewerbe, das folglich unter starken Nachschubproblemen litt und dem der Ukraine-Krieg einen weiteren Strich durch die Rechnung machte. Gepaart mit der anhaltenden Halbleiterkrise standen Lieferketten auch 2022 unter Dauerstress, was sich für viele Kanzleien nicht nur in einem erhöhten Beratungsbedarf niederschlug, sondern auch eine erhöhte Streitbereitschaft der Mandantschaft mit sich zog.

Die deutsche Wirtschaft bereitete sich währenddessen auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz vor, das im Januar 2023 für Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten in Kraft trat. Die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten in den Lieferketten wird dadurch erstmals vorgeschrieben und verlangt von Unternehmen unter anderem die Einrichtung eines Risikomanagements. Im Februar 2022 veröffentlichte die Europäische Kommission ihren eigenen Vorschlag einer Richtlinie zu dem Thema, die – sollte sie in dieser Form in Kraft treten – eine deutliche Nachschärfung des deutschen Gesetzes erfordern würde.

In legislativer Hinsicht gab es im Berichtszeitraum vor allem zwei weitere relevante Veränderungen auf EU-Ebene für das Handels- und Vertriebsrecht: Die neue Dual-Use-Verordnung, die im September 2021 wirksam wurde, schreibt striktere Vorschriften für die Ausfuhr bestimmter Güter vor, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind. Im Juni 2022 trat die neue Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung der Europäischen Kommission in Kraft, die darauf zielt, das Kartellrecht zu modernisieren und die Zulässigkeit bestimmter Geschäftspraktiken zu klären.

Währenddessen hält die Digitalisierung auch im Handels- und Vertriebsrecht weiterhin Einzug und löst Beratungsbedarf bei der Erstellung neuer Vertriebssysteme und E-Commerce-Strategien aus. Die Logistik sieht sich dadurch erhöhter Anforderungen und einem kleineren Reaktionsfenster gegenübergestellt. Gerade angesichts der Dauerbelastung der Lieferketten erwägen viele Unternehmen alternative Beschaffungsstrategien wie Near-Sourcing oder Dual-Sourcing.

Im Außenwirtschaftsrecht gab es im Frühling 2022 einen abrupten Umbruch, bedingt durch den Kriegsausbruch in der Ukraine. Praxisgruppen sahen sich massivem Beratungsbedarf ausgesetzt, der die Abwicklung des Russland-Geschäfts vieler Unternehmen sowie eine sich ständig verändernde Sanktionslandschaft einschloss; so war im Juli 2022 bereits das siebte Sanktionspaket der EU binnen fünf Monate erlassen. Dabei bleibt das bestehende Beratungsgeschäft der Branche nicht stehen: Antidumpingzölle und Exportkontrolle sowie die kriselnden Handelsketten bleiben Dauerbrenner für Sozietäten.

Der Wachstumstrend in der Investitionskontrolle setzt sich weiterhin fort. Das BMWK (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) legt im Auge geopolitischer Spannungen einen zunehmend stärkeren Fokus auf die Prüfung ausländischer Transaktionen und Investitionen. Für viele Kanzleien nehmen Mandate solcher Art immer mehr Raum in den Beratungsportfolios ein, in denen Außenhandelspraxen eigenständig oder als Ergänzung zur Transaktionsarbeit agieren.

Im Außenwirtschaftsrecht blieben grundlegende Veränderungen der Kanzleilandschaft aus. ADVANT Beiten schloss sich 2021 der Gründung des Dachverbands ADVANT an und schuf außerdem die Grundsteine für eine eigene außenwirtschaftsrechtliche Praxis. DLA Piper verstärkte sich im April 2022 mit dem Zugang von Marc Jacob, der zuvor bei Shearman & Sterling LLP aktiv war.

Im Handels- und Vertriebsrecht war derweil mehr Bewegung zu sehen: Hogan Lovells International LLP ernannte Christiane Alpers 2022 zur Partnerin, während bei Taylor Wessing ein Wechsel an der Führungsspitze stattfand, der Benedikt Rohrßen in die Fußstapfen von Martin Rothermel treten sah. Letzterer bleibt der Praxisgruppe weiter erhalten. Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH profitiert seit Juni 2022 von der Transport- und Logistikexpertise von Jette Gustafsson, die von Blaum Dettmers Rabstein in den Hamburger Standort der Kanzlei wechselte. Jürgen Spaar von SKW Schwarz sowie Christian Kessel von Bird & Bird LLP traten im Berichtszeitraum in den Ruhestand ein.