Marktüberblick in Deutschland

Der deutsche ECM-Markt kann auf turbulente zwölf Monate zurückblicken: Nach anfänglicher Covid-19-bedingter Unsicherheit entwickelte sich der deutsche Markt in der zweiten Jahreshälfte 2021 äußerst gut und stieg mit insgesamt 30 Börsengängen von deutschen operativ tätigen Unternehmen sowie einigen SPAC-Emissionen in luftige Höhen auf, bevor sich Anfang 2022 angesichts zuspitzender geopolitischer Spannungen und steigender Zinsen eine eher abwartende Haltung breit machte. Investoren investierten dementsprechend selektiver und schoben geplante Börsengänge vorerst auf die lange Bank.Auch die 2021 von den USA nach Europa übergeschwappte SPAC-Welle hat mittlerweile an Schwung verloren. SPACs (Special Purpose Acquisition Companies) sind überwiegend an der Nasdaq und dem NYSE gelistete Mantelunternehmen, die im Rahmen eines Börsengangs Kapital aufnehmen, um attraktive Unternehmen zu akquirieren; häufig handelt es sich hierbei um Early-Stage-Unternehmen aus den Branchen Technologie, Life Sciences, Pharma und Healthcare. Von diesem Trend profitieren insbesondere Kanzleien mit starker US-Anbindung bzw. Kanzleien, die auch in den deutschen Büros US-rechtliche Expertise anbieten können.Im Gegensatz zu diesem Abflauen gewinnt der Themenkomplex ESG (Environmental, Social and Governance) weiter an Fahrt und wurde für Kanzleien mittlerweile zum fixen Bestandteil der Mandatsarbeit, was nicht zuletzt auf der seit März 2021 geltenden Offenlegungsverordnung basiert. Im Zentrum dieser Verordnung stehen nachhaltige Aspekte von Finanzprodukten und mehr Transparenz für Anleger, wodurch ökologische und soziale Fragen verstärkt in das Blickfeld von Kapitalmarkt-Akteuren rücken. Dies ist vor allem in der DCM-Beratung spürbar, wo die Begebung von Anleihen ohne grüne oder soziale Komponenten inzwischen die Minderheit bilden. Da diese zwar an ein konkretes, jedoch selbst gesetztes Nachhaltigkeitsziel gekoppelt sind, hält sich die Aussagekraft vieler Labels für Anleger in Grenzen. Einen Schutz vor sogenanntem ‚Greenwashing‘, sprich einer verkaufsfördernden grünen Hülle für ein im Grunde konventionelles Produkt, bietet diese Verordnung nicht.Die Digitalisierung des Finanzplatzes ist ein ebenso weiter anhaltender Trend, der insbesondere Kanzleien mit starken Schnittstellenkapazitäten, wie etwa zum Aufsichtsrecht und FinTech, in die Hände spielt. So können Unternehmen seit der Verabschiedung des Gesetzes zur Einführung elektronischer Wertpapiere (eWpG) im Sommer 2021 digitale Wertpapiere begeben. Dadurch muss für Schuldverschreibungen, Fondsanteile und Pfandbriefe künftig keine Papierurkunde mehr ausgestellt werden, sondern sie können stattdessen in einem elektronischen Register hinterlegt werden. Dieses kann entweder von einer Depotbank geführt oder dezentral als Krypto-Wertpapier auf einer Blockchain abgebildet werden.Prinzipiell sind Emittenten aufgrund des aktuellen hohen Volatilitätsniveaus bei Finanzierungsmaßnahmen gewissermaßen zur Flexibilität gezwungen und schöpfen so aus unterschiedlichen Eigen- und Fremdkapitaltöpfen, wovon letztendlich Kanzleien mit ausgeprägter Kapitalmarktexpertise sowie einschlägigen Kapazitäten im Bereich der strukturierten Finanzierung profitieren.Personelle Änderungen hielten sich während des Berichtszeitraums zwar in Grenzen, blieben jedoch nicht aus: So wechselten die beiden ECM-Experten Philipp Klöckner und Nico Feuerstein im August 2022 von Clifford Chance zu Milbank und Mayer Brown LLP verstärkte sich im März 2022 mit der von Pinsent Masons Rechtsanwälte Steuerberater Solicitors Partnerschaft mbB kommenden Kapitalmarktrechtlerin Susanne Lenz. Hengeler Muellers DCM-Experte Hendrik Haag trat im Dezember 2021 in den Ruhestand ein.